Leseprobe-Wie zwei Schwestern

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Jeanette

Sie lernten sich kennen in der 1. Klasse der Grundschule, damals, als die Welt noch in Ordnung war, der Himmel strahlend blau, das Gras in den Vorgärten saftig grün und das Leben noch voller Wunder steckte. Damals dachte sie, dass niemand ihr etwas anhaben oder Böses wünschen könnte. Sie war ein aufgewecktes, fröhliches Mädchen, das viele Erwachsene durchaus als niedlich bezeichneten mit ihren süßen Kleidchen und geflochtenen blonden Zöpfen, die ihr knapp über die Schultern reichten. Darum waren alle nett zu ihr: Frau Nolte aus dem 1. Stock, die zwar sehr schlecht hörte, ihr aber immer eine Tüte Süßigkeiten schenkte - mal Gummibärchen, mal Lakritz oder Sahnebonbons, die sie über alles liebte. Die Bäckersfrau, die ihr immer ein Brötchen mehr in die Tüte steckte, so, als habe sie sich verzählt, wenn sie am Sonntag, wenn alle noch schliefen und die Straßen wie ausgestorben wirkten, Brötchen für ihre Familie kaufen durfte. Frau Specht von neben an, mit deren Hund sie spielen und auch mal mitgehen durfte, wenn sie den Hund ausführte in den nahe gelegenen Wald oder durch die Straßen der Stadt. Ihre ältere Schwester, die schon in die 4. Klasse ging, brachte ihr Buchstaben und einfache Wörter bei, die sie langsam zu schreiben und lesen begann. Daher wusste sie, wie ihr Name geschrieben wird, damals an einem recht heißen Tag im August. Nachdem ihre damalige Klassenlehrerin, Frau Hagedorn, alle Kinder aufgerufen hatte, gingen sie gemeinsam in den Klassenraum. Sie hatte sich die Mühe gemacht, Namenskärtchen für jedes Kind sorgfältig zu schreiben und aufzustellen, damit jeder in der Klasse einen Platz hatte und es keinen Streit und keine Tränen gab. Da entdeckte sie ihr Namensschild und wunderte sich. "Jeanette wird doch mit e geschrieben", dachte sie. Das wusste sie genau, denn ihre große Schwester hatte den Namen immer wieder mit ihr geübt. Wusste ihre Lehrerin nicht, wie ihr Name geschrieben wird? Jeanette hatte keine Ahnung, ob Frau Hagedorn sich der Schreibweise bewusst war oder nicht, aber so aufgeschlossen und voller Tatendrang wie die kleine Jeanette mit ihren blonden Zöpfen und ihrem Blümchenkleid war, musste sie ihre Lehrerin darüber informieren. Gerade, als die kleine Jeanette zu ihrer Lehrerin maschieren wollte, wurde die Klassentür aufgestoßen und eine korpulente Frau kam herein - auf dem Arm ein pummeliges Mädchen mit kurzen kastanienbraunen, verstrubbelten Haaren, einem T-Shirt und einer kurzen Hose, das sich regelrecht an ihre Mutter krallte, um sich schlug, weinte und schrie: "Ich will nicht in die Schule! Mama, nein!" Alle anderen Kinder starrten sie regelrecht an. Im Klassenraum war es sehr still geworden. Niemand redete, niemand lachte, niemand bewegte sich mehr. Frau Hagedorn ging lächelnd auf die verzweifelt aussehende Mutter und das aufgelöste Kind zu. "Hallo, ich bin Ilonka Hagedorn. Mit wem habe ich das Vergnügen?" "Guten Tag. Mein Name ist Hiltrud Schwarz. Das ist meine Tochter Jeanett. Sie müssen entschuldigen, dass wir erst jetzt kommen und nicht schon, als sie aufgerufen wurde." Erst da fiel der Lehrerin auf, dass sie ein Kind aufgerufen hatte, das nicht gekommen war. "Aber sie macht schon seit Tagen Theater - vor allem, seitdem mein älterer Sohn Torben ihr Horrorgeschichten von der Schule erzählt hat. Er ist gerade in die 6. Klasse gekommen, und..." Mehr verstand Jeanette nicht, denn sie hörte nicht mehr zu. Ihr Gesicht hellte sich auf, als sie hörte, dass das andere Mädchen auch so hieß wie sie. Ihre kristallblauen Augen funkelten. Sie fasste sich ein Herz und ging auf das fremde Mädchen zu. "Heißt du Jeanette?" fragte Jeanette. Das fremde Mädchen, das sich inzwischen etwas beruhigt hatte, nickte zaghaft. "Ich auch." strahlte Jeanette die Fremde an, die an diesem Morgen zum ersten Mal verschüchtert lächelte. Kurz dachte die kleine Jeanette nach, und ihr kam das Namensschild wieder in den Sinn. "Wird dein Name ohne e am Ende geschrieben?" fragte Jeanette. Die Fremde nickte. "Meiner wird mit e geschrieben. Da sich die kleine Jeanett ohne e sich wieder ein wenig beruhigt hatte und zu der kleinen Jeanette mit e ein wenig Vertrauen zu fassen schien, und sowohl Lehrerin als auch Mutter in Sorge waren, dass das Theater von vorne losgehen könnte, beschloss die Lehrerin die beiden Mädchen nebeneinander zu setzen, natürlich mit dem Einverständnis der anderen Kinder. Sonst hätte Jeanette neben Alina gesessen. Alina war ein Mädchen, das sie bereits aus dem Kindergarten kannte und hatte auch immer sehr gerne mit ihr gespielt. Ein wenig traurig war Alina zwar schon, aber sie kannte auch Merit, neben der Jeanett gesessen hätte bereits aus dem Kindergarten, und sie verstand schon, dass das andere Mädchen nicht traurig sein sollte. So fing damals alles an. Den Tag wird Jeanette nie in ihrem Leben vergessen, denn dieser Tag veränderte alles, und nichts war mehr, wie es vorher war...

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